Die Tendino-muskulären Leitbahnen (Jing Jin)

Als Praktizierende der inneren Künste (Qi Gong und Taijiquan) suchen wir nach Harmonie von Körper und Geist. Ein Weg dazu liegt in den Tendino-muskulären Leitbahnen (TML), auch Jing Jin genannt. Man kann sie sich als die energetischen Kanäle vorstellen, die durch unser Muskel- und Bindegewebe verlaufen. Sie sind Teil des oberflächlichen Leitbahnen-Systems und sind essenziell für unsere Beweglichkeit (Yang) und Stabilität (Yin).

Die TML sind eng verbunden mit dem Abwehr-Qi (Wei Qi). Dieses Qi zirkuliert an der Oberfläche, schützt uns vor äußeren Einflüssen (wie Kälte oder Wind) und unterstützt unsere Motorik. Ein freier Fluss des Wei Qi in den Jing Jin bedeutet einen geschützten, warmen und widerstandsfähigen Körper.

Yi Jin Jing: Das Geheimnis der Sehnen-Transformation

Das Verstehen und Kultivieren der Jing Jin erfolgt am besten durch persönliche Körpererfahrung, nicht nur durch Bücher. Hier kommt das Yi Jin Jing (oft „Sehnen-Transformations-Klassiker“ genannt) ins Spiel. Es ist ein klassisches System von Prinzipien, das darauf abzielt, die Qualität des Jin (Bindegewebe/Sehnen) zu verbessern. Im Grunde ist es die Grundlage für innere Energieprozesse (Nei Gong).

Die Yi Jin Jing-Prinzipien lehren uns, Qi zuerst zu bewegen, bevor wir die physische Struktur entwickeln. Wenn wir durch achtsame, atemgeführte Übungen das Qi in die TML und das umgebende Bindegewebe (Huang) lenken, werden diese Strukturen gedehnt und elastisch. Dadurch werden die Kanäle geöffnet, was den Energiefluss stärkt und Blockaden löst.

Wichtig ist die Unterscheidung zum reinen Krafttraining: Wird ausschließlich die Muskelkraft trainiert, neigt das Gewebe dazu, das Qi zu „einschließen“ und den freien Fluss zu behindern, was langfristig die Sehnen schwächt. Die Kultivierung der TML erfordert einen ganzheitlichen Ansatz, der Elastizität und Energiefluss gleichermaßen fördert.

Ting: Mit den Händen „Hören“ lernen

Gezielte Übungen nach den Prinzipien des Yi Jin Jing verbessern nicht nur unsere physische Gesundheit, sondern schulen auch unsere Wahrnehmung, die als Ting (Einfühlen/Zuhören) bezeichnet wird.

Ting ist die Fähigkeit, die innere Dynamik des Körpers bewusst wahrzunehmen, indem wir unsere Intention (Yi) nutzen, um den Zustand des Qi und der Jing Jin zu fühlen. Diese feinen palpatorischen Fähigkeiten sind essenziell:

1. Diagnose innerer Blockaden: Durch Palpation (Tasten) können wir Ashi-Punkte finden – Bereiche, in denen Energie stagniert. Diese Stagnationen können körperliche Traumata oder Krankheiten widerspiegeln, aber auch emotionale Disharmonien (Xie Qi), die sich physisch im Bindegewebe festgesetzt haben.

2. Verbesserung der Selbstwahrnehmung: Das Spüren der Meridiane wird zum inneren Spiegel, der uns emotionale und mentale Zustände reflektiert.

Wer regelmäßig und achtsam praktiziert, lernt, seine TML zu fühlen und über die Intention das Qi zu lenken, um Struktur und Bewegung zu harmonisieren. Dies führt zu einem tieferen Verständnis des eigenen Körpers und des Energieflusses.

Ihr Weg zur inneren Stärke

Die Kultivierung der TML ist ein direkter Weg, um Jing (Essenz), Qi (Energie) und Shen (Geist) zu stärken und zu verfeinern. Indem Sie in Ihrer Praxis bewusst die Prinzipien der Sehnen-Transformation nutzen und Ihr Ting schulen, entwickeln Sie nicht nur eine gesündere Haltung, sondern gewinnen auch spürbare Resilienz und Energie im Alltag. Die achtsame Körperarbeit ist ein fortlaufender Weg zu mehr Selbsterkenntnis und Gesundheit.


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert